Lesen Sie hier das vollständige Interview mit Prof. Karl Speer von der Technischen Universität Dresden, welches Sie in verkürzter Form in unserem Journal 2015 finden:
Mit der Novemberausgabe 2014 ihres Magazins hat die Stiftung Warentest viele Teetrinker, uns eingeschlossen, verunsichert, weil sie in Analysen Rückstände von Anthrachinon im Tee gefunden hat. Überraschend waren diese Ergebnisse insbesondere deshalb, weil seit Juni 2013 das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) Anthrachinon als Rohstoff zur Herstellung für Papier mit Lebensmittelkontakt aus der BfR - Empfehlung gestrichen hatte und wir durch Analysen wussten, dass in der Herstellung unserer Verpackung kein Anthrachinon zum Einsatz kommt.
Grund uns an Prof. Dr. Karl Speer von der Technischen Universität Dresden zu wenden, einen ausgewiesenen Experten für Lebensmittelchemie und Lebensmittelproduktion.
Herr Prof. Speer, vielen Dank für Ihre Bereitschaft, uns zum Thema Anthrachinon einige Fragen zu beantworten! Für Laien, was für ein Stoff ist Anthrachinon eigentlich?
Es handelt sich um ein relativ kleines Molekül, dessen Grundstruktur das Anthracen ist, das aus drei aneinandergrenzenden Benzolringen aufgebaut ist. Durch Oxidation des Anthracens – also Einbringen von Sauerstoff an die beiden freien C-Atome des mittleren Benzolringes – wird Anthrachinon gebildet.
Warum besteht zwischen Anthrachinon und PAKs eine Relation?
Sowohl das Anthracen als auch das Anthrachinon zählen zur Stoffklasse der Polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe (PAK). Die Stoffklasse umfasst mehr als 200 verschiedene Verbindungen. Sie entstehen bei der unvollständigen Verbrennung von organischem Material und werden in Autoabgasen, aber auch in geräucherten Lebensmitteln nachgewiesen. Dabei werden allerdings nicht alle Verbindungen in gleichen Mengen gebildet. Die niedermolekularen Verbindungen, zu denen das Anthracen zählt, entstehen leichter als die höhermolekularen Verbindungen, deren Bildung von mehreren Faktoren wie z.B. der Verbrennungstemperatur abhängig ist. So wird verständlich, dass das Vorkommen einzelner Verbindungen sich durchaus um den Faktor 100 oder mehr unterscheiden kann. Zwischen dem Anthracen als Ausgangskomponente und dem Anthrachinon als Oxidationsfolgeprodukt dürfte indes eine Korrelation bestehen. Einfach ausgedrückt, geringe Gehalte an Anthracen haben auch geringe Gehalte an Anthrachinon zur Folge.
Wie ist Anthrachinon in den Tee gekommen?
Sofern ein Eintrag durch Verpackungsmaterialien ausgeschlossen werden kann, wird davon ausgegangen, dass Trocknungsprozesse hierfür verantwortlich sind. Die frischen Teeblätter werden vor weiterführenden Verarbeitungsprozessen zunächst angetrocknet. Hierfür werden Trocknungsgase über die frisch geernteten Blätter geleitet. Zu ihrer Erzeugung wird Kohle, Erdöl oder Erdgas verbrannt, so dass die Trocknungsgase Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) und damit Anthracen sowie Anthrachinon enthalten können, die dann im Tee nachweisbar sind. Nach weiteren Verarbeitungsschritten (Schwarztee: Welken, Rollen, Fermentieren); (Grüntee: Dämpfen, Rollen) wird sowohl der Grüntee als auch der Schwarztee anschließend noch einmal mit Trocknungsgasen behandelt, um den Tee lagerfähig zu machen. Dazu wird der Wassergehalt auf unter 4 % gesenkt.
Gibt es Anthrachinon auch in anderen Lebensmitteln (im Vergleich zum Tee)?
Anthrachinon wurde über viele Jahre zur Gewinnung von Zellulosefasern eingesetzt. Sind diese dann Bestandteil von Verpackungsmaterialien kann das Anthrachinon durch Migration in Lebensmittel gelangen, sofern diese mit dem Verpackungsmaterial in Kontakt treten. Nachdem dieser Kontaminationsweg erkannt worden war, hat das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR Berlin) nicht zuletzt auch aufgrund von Stellungnahmen der europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) das Anthrachinon aus den Empfehlungen für Lebensmittelverpackungen gestrichen. (Stellungnahme Nr. 005/2013 des BfR vom 12. Februar 2013)
Sollte Anthrachinon hingegen infolge eines Verbrennungsprozesses gebildet werden, dann kann vermutet werden, dass das Anthrachinon in einer Reihe weiterer Lebensmittel nachzuweisen ist. Betroffen sein dürften neben Getreide und speziellen dunklen Bieren vor allem geräucherte Produkte wie Schinken oder Würste. Für Bier wäre der Darrprozess als Ursache für eine mögliche Kontamination zu nennen, beim Getreide die direkte Trocknung der Getreidekörner vor der Lagerung. Bei geräucherten Produkten könnten sich unterschiedliche Räuchertechnologien auf die Bildung von Anthrachinon auswirken. Angemerkt werden muss allerdings, dass zurzeit trotz umfangreicher Recherchen keine Daten zum Anthrachinon in diesen Produkten vorliegen.
Wie viel Anthrachinon ist im Teeaufguss?
Geht man davon aus, dass der für die Zubereitung des Aufgusses verwendete Tee nicht den gesetzlichen Höchstwert von 0,02 mg/ kg überschreitet, werden mit einer Kanne Tee, unter der Empfehlung 8-10 g für einen Teeaufguss von einem Liter einzusetzen, nur 0,0002 mg aufgenommen. Dieser Wert ist vergleichbar mit anderen Werten, die vom Bundesinstitut für Risikobewertung als auch von der EFSA für eine Reihe weiterer, als kanzerogen eingestufter Verbindungen erlassen worden sind und damit als tolerierbar gelten.
Wie kann ich mich als Teetrinker vor unerwünschten Kontaminanten im Tee schützen?
Eine Aufnahme von geringen Mengen an Anthrachinon ist nicht zu vermeiden. Die anderen nachgewiesenen polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe gehen nach eigenen Untersuchungen nur zu 3 % bis 5 % in den Teeaufguss über . Deshalb sollte der Verbraucher nur Tees kaufen und konsumieren, die anhand von Analysenzertifikaten belegen, dass der Anthrachinon-Gehalt im Produkt unterhalb der zulässigen Höchstmenge von 0,02 mg/kg liegt.
Nicht unerwähnt bleiben soll an dieser Stelle, dass im Rahmen von gemeinsamen Forschungsarbeiten alles daran gesetzt wird, durch Optimierung der Prozesse eine Minimierung der Anthrachinon-Belastung des Tees zu erreichen.